Feuilleton

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.2002, Nr. 55, S. 47

 


Viele Wege zur Kirche

Architektur als "res publica": Zum Tod des Kölner Baumeisters Fritz Schaller

"Ich brauche dringend Ihre Hilfe. Die sind dabei, mein Kreishaus in Aachen gründlich zu versauen - mit Hilfe der Denkmalpflege und eines ehrgeizigen Landrats", hatte er mit der ihm eigenen nüchternen Erregung auf den Anrufbeantworter gesprochen. Das war im August 2001. Der Ortstermin führte vor vollendete Tatsachen: Der 1957 errichtete, mit römischem Travertin verkleidete Komplex, ein bis in die Treppenläufe, Holzverkleidungen und Buntverglasungen stilvoll gestaltetes Gesamtkunstwerk der fünfziger Jahre, dessen zwölfgeschossige Büroscheibe als breiter Riegel den Stadtraum am Ende der Theaterstraße schließt, war mit einem neuen, von der Seite auf die Mittelachse versetzten Haupteingang versehen worden. Schlecht proportioniert, mit einem dürftigen Glasdach über der Drehtür, soll der Serienwindfang wohl die Repräsentationslust eines feudalherrischen Landrats stillen. Dessen Bauabteilung hatte es sowenig wie die Denkmalpflege für nötig erachtet, den Architekten zu informieren. Über dessen Fragen war man dreist verwundert: Man habe geglaubt, er weile nicht mehr unter den Lebenden.

Soviel Respektlosigkeit und Ignoranz kränkten ihn. Aber sie amüsierten ihn auch und weckten seine Streitbarkeit. Der Baumeister Fritz Schaller, der am Montag im Alter von siebenundneunzig Jahren in Köln gestorben ist, hat Architektur immer als "res publica" verstanden, bis kurz vor seinem Tod hat er sich öffentlich eingemischt, und das nicht nur wegen der eigenen Bauten. Mit diesen hatte er sich gleich nach dem Krieg einen Namen gemacht, vorallem mit Kirchen, von denen er mehr als dreißig in Köln und der weiteren Umgebung schuf. Keine gleicht der nächsten, immer löste er die Aufgabe, als wäre "sie hier zum ersten Mal gestellt worden". Anders als der Rudolf Schwarz, der ihn 1947 zur Kölner Wiederaufbaugesellschaft geholt hatte, begriff er Kirche nicht als Einraum, sondern als so vielfältig gegliedert, daß sie dem Gläubigen individuelle Wege erlaubt.

Am 29. Mai 1904 in Berlin geboren, war Schaller seit je mit Köln, der Heimat seiner Mutter, verbunden. Nach dem Studium an der TH Karlsruhe, wo er 1929 bei Hermann Billing das Diplom ablegt, wird er 1933 Regierungsbaumeister mit eigenem Büro in Berlin: Wohnhäuser sind die ersten Aufträge, dann Thingstätten wie die in Bad Segeberg, die später für die Karl-May-Festspiele umgestaltet wird. Nicht Aufmarschplätze, sondern griechische Theater sind ihm Vorbilder: "Gute Sachen für einen schlechten Zweck", schrieb die Zeitschrift "Baumeister" nach dem Krieg. Schallers bekanntestes Werk ist auch sein umstrittenstes: die Kölner Domplatte. Der Katholik verstand die Kathedrale als Magnet des "einfachen Menschen". Doch sein Konzept, in den sechziger Jahren entwickelt und schon bei der Fertigstellung 1971 überholt, schlug fehl: "Ich will vor dem Dom keine sterile Zone. Ein Schiff bekommt seinen Maßstab auch erst durch all das Gekribbel von Booten, Kähnen und Schuten." Statt eines Stadtraums aber wuchs eine unwirtliche Durchgangsfläche. Es sind andere Werke, dokumentiert in der Edition "Stadtspuren", mit denen sich Schaller in die Architekturgeschichte des Rheinlands eingeschrieben hat: In der stolzen Reihe der modernen Kirchenbaumeister hat er neben Band, Bernard, den Böhms, Leitl, Schwarz, Steffan und Schilling einen unverwechselbaren Platz. 

ANDREAS ROSSMANN

 

Urbilder, neu gestaltet: Die 1953 erbaute Erlöserkirche mit Campanile und Rose.           

 Foto F.A.Z. Archiv


Kirchenzeitung f. d. Erzbistum Köln v. 07.03.02

Die Bedürfnisse der Zeit erkannt 

Architekt Fritz Schaller im Alter von 97 Jahren gestorben

KÖLN. Im Alter von 97 Jahren ist am Montag in Köln der Architekt Fritz Schaller gestorben. Jahrzehntelang hat der in Berlin geborene Baumeister, der alleine (im Erzbistum Köln, d. R.) 19 Kirchen gebaut hat, entscheidenden Anteil an der Entwicklung einer modernen Architektur gehabt. Eine Würdigung von Erzdiözesanbaumeister Martin Struck.

Die Nachkriegsmoderne in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde wesentlich auch durch den modernen Kirchenbau im Rheinland mitgeprägt. Mit hervorragenden Architekten wie beispielsweise Karl Band, Dominikus und Gottfried Böhm, Clemens Holzmeister, Bernhard Rotterdam, Josef Lehmbrock, Hans Schilling, Willy Weyres, Paul Schneider-Esleben, Joachim Schürmann, Hans Schwippert, Rudolf Schwarz und Emil Steffann spielte Fritz Schaller eine zentrale Rolle. Dies belegt bereits die Zahl von 19 Kirchenneubauten, die Schaller alleine im Erzbistum Köln zwischen 1951 und 1976 planen und errichten durfte. Hierzu zählen beispielsweise so wegweisende Bauten wie der Wiederaufbau von St. Mauritius in Köln, die Kirche Zum Göttlichen Erlöser in Rath-Heumar oder so ungewöhnliche Raumkreationen wie die Pfarrkirche St. Remigius in Wuppertal-Sonnborn. Dabei gelingt es der schöpferischen Persönlichkeit von Fritz Schaller in der Baugeschichte bewährte Typologien wie die Basilika oder die Hallenkirche, und selbstverständliche Konstruktionen wie Ziegelmauerwerk und geneigte Dächer mit den inhaltlichen, formalen und konstruktiven Bedürfnissen unserer Zeit zu kombinieren: In klar durchlichteten, hellen Räumen wird unsere nachkonziliare Liturgiefeier ebenso selbstverständlich beheimatet, wie der geheimnisvolle Aspekt des Glaubens und die persönliche Frömmigkeit in verschleierten, uneindeutigen Zonen Platz finden. Mit dem Einsatz von Stahlbetonstützen und -pfeilern werden kühne Konstruktionen gewagt, die sowohl richtungsweisend für die moderne Technologie sind, gleichzeitig aber auch an traditionelle Rippengewölbe und Dachkonstruktionen erinnern. Insofern verdankt die moderne Architektur einem Fritz Schaller, der sich bewusst in die Tradition der Baugeschichte stellt und glaubwürdige Formen für den heutigen Gebrauch findet, viel mehr als irgendwelche radikalen Neuerung, deren Formvokabular mit jeder neuen Mode bereits wieder veraltet ist. Hierzu zählt nicht allein die Anpassungsfähigkeit der verwendeten Formen und Grundrisse, sondern, ganz ökologisch - auch die Alterungsfähigkeit und Reparierbarkeit der Baukonstruktionen. Wer sich mit dem Werk von Fritz Schaller im Detail auseinandersetzen möchte, dem sei das Buch "Fritz Schaller. Der Architekt und sein Beitrag zum Sakralbau im 20. Jahrhundert" von Emanuel Gebauer empfohlen, das als Band 28 "Stadtspuren Denkmäler in Köln" im i. P. Bachem Verlag erschienen ist.

 

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